Freizeitparadies Internat?

So beschreibt der Journalist Josef Pütz die Freizeitsituation in der Internatsschule Schloss Neubeuern:


„Ein tolles Freizeitangebot, glaube ich. Um so erstaunter bin ich, als meine Gesprächspartner eher müde reagieren. ‘Ich hab‘ mit Malerei angefangen, dann Theater gespielt, aber das ist dann eingeschlafen‘, berichtet Jean. Zur Zeit mache er da gar nichts mehr.
Die anderen bestätigen solche Erfahrungen. Einige Gilden laufen sehr gut, andere weniger. Woran liegt’s? ‘Nicht am Angebot‘, räumt Jean ein. ‘Aber ich will mich nicht total festnageln lassen, dann verliere ich den Spaß.‘“ (vgl. „Leben & Erziehen“, Heft 5/ 1986, S. 32).


Das Hauptübel scheint in einer totalen Verplanung der Kinder und Jugendlichen durch Freizeitprogramme, „Ämter“ und „politische“ Aktivitäten innerhalb der Selbstverwaltung zu liegen.
„Im Sinne des von dem Pädagogen Hahn geprägten Begriffs der Verantwor-tungsbildung sind die Jugendlichen den ganzen Tag beschäftigt. (...) Mit diesen Beschäftigungen sind vier Nachmittage in der Woche verplant, hinzu kommen Unterricht und Hausaufgaben, auch am Sonnabend“ beschreibt die „Welt am Sonntag“ das Pflichtpensum eines Salem-Schülers (WamS vom 18.06.1995, S. 35).
 
Aufgaben wie Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Rettungsdienste, soziale Projekte usw. geraten leicht zur Farce, weil ihnen doch letztlich der Ernst-charakter fehlt und die Schüler die tatsächliche Funktion solcher Aktivitäten, nämlich keine gefährliche Langeweile aufkommen zu lassen, wenigstens in Teilbereichen Aufsicht und Kontrolle sicherzustellen oder dem Internat ein einprägsames Profil und eine gute Presse zu verschaffen, natürlich durch-schauen. Ähnliches gilt für alle Spielarten internatsinterner Mitarbeit, Mitver-waltung und Mitbestimmung, die letztlich begrenzt sein müssen, weil sie die durchrationalisierten Abläufe der Institutionen stören, zusätzlichen Personal-aufwand produzieren oder in Rechtsvorschriften und fremde Entscheidungs-kompetenzen eingreifen würden.
 
„Programm und Wirklichkeit“, urteilte die FAZ über das Salemer System der Ämter, Dienste und Innungen, „klaffen allerdings auseinander. (...) Das liegt zum Teil an der Sache selbst. Das heroische Pathos des Helfens, das Hahn eigen war, ist hier streckenweise zur Farce verkommen. Der Seenotrettungsdienst ist in der Hauptsaison, wenn auf dem Bodensee tatsächlich allerlei passiert, in den Ferien.“

Nicht viel besser weg kommt das liberale System der Odenwaldschule, die ihren Schülern weitgehende Mitbestimmungssrechte auf allen Entscheidungsebenen zugesteht:
„Von 'Lähmung und Ineffektivität' spricht auch ein Schüleraufsatz in den 'OSO- Nachrichten'. Woran liegt das? Sollten die Schüler etwa mit der 'zunehmenden Selbstbestimmung', zu der ihre Erziehung befähigen soll, überfordert sein? Sowohl Schüler wie Schulleiter erwähnen die endlosen privaten Diskussionen der Heimbewohner, in denen sie ihre Schwierigkeiten zu kompensieren ver- suchten. Die freie Schule scheint nicht automatisch den freien Schüler hervorzubringen. Dass gerade hier, in einem gewissermaßen dialektischen Umschlag, die Jugendlchen 'den Mut zum eigenen Denken und Handeln verlieren' (Lehrerin in den 'OSO-Heften'), bezeichnet Gerold Becker als das Hauptproblem der Schule“ (a.a.O.).


Fachleute wie der Hamburger Erzie-hungswissenschaftler Prof. Peter Struck warnen eindringlich vor der „totalen Bildungs- und Freizeitverplanung“ von Kindern und Jugendlichen, ja sehen hierin sogar einen Grund für pubertäres „Ausbrechen“ und Flucht in Drogenkonsum (vgl. Peter Struck: Zuviel Fürsorge schadet Kindern. In: „Welt am Sonntag“ vom 11.10.1998, S. 15).
„Kinder brauchen Ruhe, Muße, Entlastung und viel freie Zeit für sich selbst, für zweck-freies Spiel, Musikhören, Lesen, Fernsehen, Herumgammeln, aber auch für Kommuni-kation und Interagieren mit Gleichaltrigen“ (ebd.). Was aber in der geschützten Welt einer Kleinfamilie oder übersichtlichen Hausgemeinschaft möglich ist, wird im Internat zum Problem: Nicht beschäftigt zu sein, animiert dort - in Gesellschaft vieler schwieriger BewohnerInnen, die mit sich nichts anzufangen wissen - aufgrund aggressiver Langeweile zu Vanda-lismus, Glücksspiel, Computersucht, sexuellen "Entgleisungen", Nikotin-, Alkohol-  und illegalem Drogenkonsum. Freizeitparadies Internat?

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